Kaiserschnitt warte, wir kommen!
Januar - die Zeit für QM-BerichtEs war wieder Januar und ich bereitete zum 11. Mal einen Kreißsaal-Qualitätsbericht für das vergangene Jahr vor.
Ob wir viele Komplikationen verursachen oder nicht, ob unsere PDKs gut sitzen oder nicht, ob unsere Patienten bluten oder nicht.
Aber ich bin von Natur aus sehr neugierig. So bin ich von meiner Mutter erzogen worden: mich für die Menschen um mich herum zu interessieren, für die Orte, an denen ich war, und auch für die Arbeit, die ich mache.
Und dann, im Jahr 2016, habe ich mich getraut, meinen ersten Qualitätsbericht für das Jahr 2015 vorzulegen. Ich habe das nicht speziell gelernt, ich habe keinen QM-Managementkurs besucht, mein Chef hat das auch nicht von mir verlangt (und bis jetzt wird es auch nicht entsprechend belohnt oder gar geschätzt).
Ich habe es einfach in meiner Freizeit gemacht, weil es mich interessiert hat. Und weil ich verstehe, dass man wissen muss, wo man steht, wenn man es besser machen will. Einige Fortschritte sind messbar.
Ein weiterer Grund, warum ich es gemacht habe, war, dass mich viele emotionale Aussagen von Kollegen und unseren Hebammen gestört haben.
Die Kollegen sagten immer: “Wir legen viel zu viele PDK’s”.
Oder “Intubieren im Kreißsaal ist immer so schwierig".
Und die Hebammen haben gesagt: “Eure PDK’s machen gar nichts”.
Oder: “Oh Gott, wir haben so viele Kaiserschnitte!"
Ohne Daten bist du nur ein weiteren Mensch mit einer Meinung
Am Anfang waren es nur ein paar Parameter, die ich ausgewertet habe. Aber von Jahr zu Jahr wurden es mehr. Dieses Jahr hat mein Bericht fast 100 Folien.
Heute möchte ich nur über 2 Parameter sprechen: Hebammen und Kaiserschnitte.
Deutsche Bundestag und Hebammen
Von Jahr zu Jahr werden in Deutschland mehr Hebammen ausgebildet. Ich habe die Daten auf der Website “Statista” gefunden. Im Jahr 2000 gab es in Deutschland 16.000 Hebammen.
Im Jahr 2021 werden es 27.000 Hebammen sein.
Aber von diesen 27.000 Hebammen sind 18.625 freiberuflich tätig. Davon bieten nur 4.288 Hebammen Geburtshilfe an. Alle anderen machen nur Vor- und Nachsorge, begleiten also keine Geburten.
Nur die restlichen 8.375 arbeiten in Krankenhäusern oder Geburtshäusern.
Im Jahr 2023 hat der Deutsche Bundestag ein gar nicht so kleines (21 Seiten) Fachpapier herausgegeben mit dem Titel: Zur Personalbemessung von Hebammen in geburtshilflichen Kliniken.Untertitel: Situation in Deutschland und anderen ausgewählten Ländern.https://www.bundestag.de/resource/blob/928554/c19078193871cdd7f5b208795b2de29a/WD-9-073-22-pdf-data.pdf
Dort habe ich folgendes gefunden: Die bundesweite Befragung von rund 1.700 Hebammen in deutschen
Geburtskliniken im Jahr 2015 kam zu dem Ergebnis, dass fast die Hälfte der Hebammen drei Frauen gleichzeitig unter der Geburt betreuen und diese hohe Belastung teilweise zu einem Rückzug der Hebammen aus der Geburtshilfe führt.
Uns laufen die Hebammen weg
Dem kann ich nur zustimmen. Bei uns betreut eine Hebamme 3 bis 4 Frauen, die Hebammen haben eine sehr hohe Arbeitsbelastung. Und wir haben, wie in ganz Deutschland, einen Hebammenmangel. Obwohl wir einen hebammengeleiteten Kreißsaal haben, haben wir eine Stationsassistentin, Hebammenschülerinnen und zusätzlich 2 Sectio Hebammen, die sich nur um die geplanten Sectionen kümmern. Und trotzdem laufen uns die Hebammen weg.
DRG-Erlöswert und Hebammen
Und jetzt bin ich keine 6-fache Mutter mehr, die alle ihre Kinder vaginal geboren hat, und auch keine leidenschaftliche Anästhesistin in der Geburtshilfe. Jetzt bin ich Gesundheitsökonom oder Krankenhausmanagerin.
Und ich stelle fest, dass in meinem Krankenhaus Hebammen fehlen und ich die Geburtshilfe ökonomisch optimieren muss.
Dann habe ich mir ein DRG-Kalkulationstool angeschaut (kostenlos im Internet) https://app.reimbursement.info/drgs/O01E?year=2024
Der DRG-Erlöswert für Berlin für den Kaiserschnitt und die vaginale Geburt ist gleich und liegt bei 4.220,07€.
Aber... sagen wir, die Geburt dauert im Durchschnitt 1 Tag, 24 Stunden. Dafür brauche ich 3 Hebammen im Schichtdienst, 2 Ärzte, 1 Oberarzt, 1 Anästhesist.
Jetzt ein Kaiserschnitt - das dauert 1 Stunde.
Ich brauche 1 Hebamme, 2 Ärzte, 1 Anästhesist, 1 Anästhesieschwester oder ATA, 1 OP-Schwester oder OTA.
Das heißt, da wo ich Engpässe habe, bei den Hebammen, kann ich mit 1 Hebamme 6-8 Sektionen am Tag machen. Aber für 1 vaginale Geburt brauche ich 3 Hebammen.
Das Geld regiert die Welt, oder wohin bringt uns das DRG
Eine ökonomische Antwort: Sectio ist für das Krankenhausmanagement viel besser als Geburt.
Außerdem ist Sectio planbar, ich kann alles von 8 bis 16 Uhr von Montag bis Freitag planen. Dann brauche ich keinen Bereitschaftsdienst, kein Wochenende (das ist nicht ganz richtig, ein bisschen Bereitschaftsdienst braucht man für Notfälle, aber nicht so viel).
Das Jahr hat 250 Arbeitstage. Das bedeutet, dass wir für unsere 2700 Geburten im Jahr nur 11 Sektionen an Werktagen machen müssen. Und nichts an Wochenenden oder Feiertagen. Wir sparen massiv Personal, haben eine komplett planbare Geburtshilfe und bekommen genau so viel DRG-Geld wie bei vaginalen Geburten.
Schauen wir auf die anderen Länder. In Brasilien zum Beispiel kommen 55,6 Prozent aller Kinder per Kaiserschnitt zur Welt. In Europa hat Zypern mit 52% die mit Abstand höchste Kaiserschnittrtae.
Ist der Kaiserschnitt die Geburt der Zukunft?
Wenn es nach den Gesundheitsökonomen geht, ja. Denn sie haben ermittelt, dass die vaginale Geburt genauso viel kostet wie der Kaiserschnitt.
Obwohl in meinen Augen, und ich bin sicher, in den Augen aller Hebammen in Deutschland, und alle Ärzte, und hoffentlich auch Gesundheitsökomen, wenn es um deren Töchtern geht, die vaginale Geburt viel wertvoller ist, hat deutlich weniger Komplikationen für die Mutter im Vergleich zum Kaiserschnitt.
Vaginale Geburten sollen deswegen für das Krankenhaus höher vergütet werden!
Es ist entspricht leider nicht die Realität. Traurig, oder?
Wo wird unsere Kaiserschnittrate im Jahr 2025 liegen?
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