Infoabend für werdende Eltern
Lernen von einander
Heute ist der letzte Donnerstag des Monats, und zwar nicht irgendeines Monats, sondern des Januars.
Und heute ist Informationsabend für werdende Eltern im Kreißsaal.
Darüber habe ich schon in einem meiner früheren Blogartikel geschrieben.
An solchen Abenden stellen wir uns als Geburtsklinik vor, wir erzählen alle etwas und dann gibt es eine Fragerunde. Wir sind immer als Team da: Geburtshelfer, Hebamme, Wochenbettschwester, ein Kinderarzt und ein Anästhesist.
Es ist eine sehr interessante Veranstaltung: Die werdenden Eltern kommen und stellen uns sehr viele Fragen, sie wollen möglichst viel über unsere Geburtshilfe erfahren.
Durch diese Fragen erfahren wir aber auch viel über unsere zukünftigen Patientinnen und ihre Partner. Das ist ein beidseitiger Prozess.
Knifflige Fragen
Aber heute war unser Informationsabend etwas ganz Besonderes. Es war sehr, sehr voll, so voll kann ich mich schon lange nicht mehr erinnern. Unser großer, altmodischer Hörsaal war bis auf den letzten Platz besetzt.
Und die Fragen, die uns die werdenden Väter heute gestellt haben (interessanterweise werden diese Fragen wirklich fast nur von Männern gestellt), waren auch sehr speziell.
Wie hoch ist ihre Sectiorate?
Warum ist ihre Sectiorate höher als in anderen Geburtskliniken?
Wie hoch ist Ihre Episiotomierate?
Wie hoch ist die Rate an schweren Dammverletzungen?
Wie hoch ist die Rate an Geburtseinleitungen?
Wie hoch ist die Blutungsrate?
Sie sagten, sie sei in den letzten Jahren zurückgegangen? Um wie viel Prozent genau ist die Blutungsrate zurückgegangen?
Wie hoch ist die Rate der sekundären Kaiserschnitte?
Wie hoch ist die Rate der Vollnarkosen?
Wie hoch ist der Anteil der Frauen, die im Liegen gebären?
Wie hoch ist die Rate der Walking Epidural?
Und die Fragen nahmen kein Ende.
Unser Chefarzt der Gynäkologie, die leitende Hebamme und ich haben unser Bestes getan, um all diese Fragen zu beantworten.
Und fast zwei Drittel dieser Fragen kamen von ein und demselben Mann. Der Mann war groß und sehr stark, er schrieb alles auf, was wir sagten. Er wirkte fast bedrohlich, sehr streng. Wir hatten uns gefüllt, als wäre es kein Informationsabend, sondern eine Prüfung. Und es sah so aus, als würden wir diese Prüfung nicht bestehen.
Neben dem Mann saß eine sehr zarte, sehr stille schwangere Frau, sie stellte keine einzige Frage.
Welche Geburtsklinik ist die beste
Unter diesem Hagel feindseliger Fragen fühlte ich mich immer unwohler und irgendwann fragte ich den Mann zurück:
“Wozu brauchen Sie denn all diese Zahlen?”
Seine Antwort kam sofort, er brauchte nicht nachzudenken, er hatte sie schon parat.
“Anhand dieser Zahlen werden wir entscheiden, welche Geburtsklinik die beste ist und wo wir entbinden wollen.”
Daraufhin habe ich mich richtig geärgert und erwiedrigt, das ist alles Statistik von großen Zahlen, das hat keine Auswirkung auf das Risiko für die einzelne Person. Dafür gibt es ganz andere Instrumente und Methoden, um ein persönliches Risiko für dieses oder jenes zu berechnen. Und dann ist es immer noch Risiko, nicht eine Vorhersage.
Und wenn eine Geburtsklinik eine Blutungsrate von so und so viel Prozent hat, hat das keine Auswirkung auf das Blutungsrisiko für Ihre Frau. Das ist einfach ein Trugschluss.
Ich habe Angst um meine Frau
Nach 1,5 Stunden war der Infoabend zu Ende und ich fuhr mit dem Fahrrad nach Hause. Es war ein milde, warmer Abend. Und ich konnte nicht aufhören, über diesen Informationsabend und all die Fragen nachzudenken.
An einer Ampel habe ich plötzlich etwas sehr Wichtiges verstanden. Und danach ärgerte ich mich sehr über mich selbst, dass ich so streng mit dem werdenden Vater gesprochen hatte.
Ich habe verstanden, dass der einzige Grund für seine sehr feindseligen, unfreundlichen und strengen Fragen die extreme Sorge um das Leben seiner lieben Frau, der zukünftigen Mutter seines Kindes, war.
Nur aus Angst, dass ihr bei der Geburt etwas passieren könnte, wollte er die absolut beste Geburtsklinik auswählen.
Und ich möchte mich bei diesem Vater entschuldigen.
Er hat uns auf eine harte Probe gestellt, obwohl seine Hauptmotivation die Liebe zu seiner Frau war.
Ich hätte auf all seine Fragen statt mit Prozenten und Anteilen antworten sollen: Ihre Fragen kommen aus der Sorge um Ihre Frau. Und es ist völlig normal, dass Sie diese Sorgen haben. Ein neues Leben in diese Welt zu bringen, ist für die Mutter mit einem erheblichen Risiko verbunden, körperlich und seelisch. Und das können wir nicht ändern. Wir werden unser absolut Bestes tun, um Ihre Frau durch die Geburt zu begleiten und allen Risiken entgegenzuwirken. Aber das Risiko wird nie null sein. Und es müssen Sie akzeptieren.
Knight in Shining Armor
Das ist auch ein Grund, warum wir nur 6 Kinder haben und nicht 8, was wir sicher hätten haben können. Irgendwann war mein Mann so besorgt, dass mir bei der Geburt etwas zustoßen könnte, dass er überhaupt keine Kinder mehr haben wollte.
Und mit solchen besorgten Männern, die ihre Frau beschützen wollen, müssen wir als Kreißsaalteam jeden Tag umgehen. Heute war ich nicht einfühlsam genug. Das muss ich in Zukunft besser machen.
Und mit solchen besorgten Männern, die ihre Frau beschützen wollen, müssen wir uns als Kreißsaalteam jeden Tag auseinandersetzen. Heute war ich nicht einfühlsam genug. Das muss ich in Zukunft besser machen.
Diese werdenden Väter sind uns gegenüber nicht aggressiv, sie wollen alle bösen Mächte bekämpfen, die ihre Frau in Schwierigkeiten bringen könnten. Leider sind wir manchmal die einzige greifbare Manifestation dieser Ängste. Und dann fühlen wir uns angegriffen.
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